Wie Händler den Wegfall ihres Russland-Geschäfts kompensieren können

Der Ukraine-Krieg hat Auswirkungen auf den Handel und den E-Commerce. Wie Unternehmen den Wegfall ihres Russland-Geschäfts kompensieren können und warum gerade Asien dafür die besten Chancen bietet, erklärt Sebastian Wernhöfer, in einem Gastkommentar in der Internet World.

Der freie Handel lebt vom Austausch – umso größer der Schock, dass inmitten Europas ein Krieg eine nie gekannte Sanktionspolitik zur Folge hat. Allein im März dieses Jahres wurden laut Statista 2.319 Sanktionen gegen Russland verhängt und es werden weitere folgen.

Der Ukraine-Krieg hat jetzt schon weitreichende Konsequenzen für den globalen Handel im Allgemeinen und den E-Commerce im Besonderen. Die Krise destabilisiert die ohnehin durch Corona geschwächten Lieferketten: Waren können weder über Land und See noch mit Flugzeug transportiert werden. Zudem ziehen sich viele Unternehmen aus Überzeugung und als klarer Ausdruck ihrer Solidarität mit der Ukraine aus Russland zurück.

Die Sanktionen gegen Russland zeigen bereits Wirkung in der Kaufkraft der Russen – das bekommen vor allem Branchen aus dem Luxussegment zu spüren.

Umgang der Händler mit der Krise

Unsere eigenen Erfahrungen werden durch eine aktuelle Umfrage des „Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh)“ bestätigt. Demnach leiden 33,8 Prozent der befragten Unternehmen an dem Wegfall dieses Marktes. Kunden und Aufträge bleiben wegen der Probleme in den Lieferketten aus. Die Umfrage zeigt, dass die Händler unterschiedlich mit der Krise umgehen: Die Hälfte der befragten Mitglieder sieht derzeit keine Möglichkeit, kurzfristig auf die Schockwirkung des Ukraine-Kriegs zu reagieren. Demgegenüber denken 30 Prozent der Unternehmen über neue Märkte nach und suchen aktiv nach alternativen Beschaffungs- und Vertriebswegen.

Genau das empfehle ich meinen Kunden: Wagt den Schritt nach Asien, wo das Potenzial für den E-Commerce gewaltig ist. Auf eine Erholung des Russlandsgeschäft zu hoffen ist nicht zu empfehlen, das sieht auch die Mehrheit der Befragten in der bevh-Studie: Schockstarre und Sorge herrschen momentan in der E-Commerce-Branche vor, die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft werden „massiv und dauerhaft“ sein.

Wandel durch Handel

Teil unserer Firmen-DNA ist die Überzeugung, dass derjenige erfolgreich ist, der sich schnell an veränderte Bedingungen anpasst. Die Handelsbeziehungen zu Russland werden eine lange Zeit ausfallen.

Handelsunternehmen sollten ihre Kräfte gen Asien bündeln und dort E-Commerce-Projekte starten. In der Beratung unserer Kunden stellen wir oft zwei Dinge fest: Erstens verbinden viele Unternehmen mit Asien ausschließlich China und zweitens scheuen sie den Eintritt in die asiatischen Märkte. Mit einer guten Vorbereitung und einer schlüssigen Strategie ist eine Expansion dorthin ein lohnender Schritt.

Asien – das ist viel mehr als China!

Wegen seiner schieren Größe denken viele Menschen gleich an China, sobald die asiatischen Märkte thematisiert werden. Asien ist jedoch viel mehr, der Kontinent hat neben China weiteres gewaltiges Potenzial in Südostasien und Indien, das offen ist für E-Commerce-Händler aus Europa.

Südostasien und Indien sind aufstrebende Hidden Champions. Diese Länder haben eine hundert millionenfach große Mittelschicht mit einer hohen Kaufkraft und einer hohen Affinität für europäische Produkte.

Mut, neue Wege zu gehen

Auch wenn Russland nicht direkt vor der Haustür liegt: Die geografische und kulturelle Nähe sorgen für weniger Berührungsängste im Vergleich zu Projekten in Asien. Ich möchte hier für mehr Mut werben, Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn man Chancen ergreifen kann.

Wenn man die lokalen Unterschiede beachtet, ein starkes Partner-Netzwerk vor Ort hat und die logistischen Voraussetzungen beherzigt, kann der Schritt nach Asien gelingen. Wichtig ist, kulturelle Unterschiede ernst zu nehmen, dadurch ändert sich das Anforderungsprofil für E-Commerce-Projekte grundsätzlich. Asien ist sehr divers, jedes Land erfordert eine spezifische Strategie und Ansprache.

Strategisch planen

Wer in bisher unbekannte Märkte einsteigen möchte, der muss das strategisch planen und sich Know-how aneignen über rechtliche, politische, kulturelle und infrastrukturelle Bedingungen vor Ort.

Jeder Zielmarkt erfordert eine eigene Analyse: Wie sind die Anforderungen und Gepflogenheiten? Was muss ich technisch berücksichtigen? Welche Zahlungsdienste sind gängig?

Deswegen muss der Händler das identische Produkt anders präsentieren, damit es im Onlineshop des jeweiligen Landes zum Topseller wird. Was in Indien gut läuft, kann in Singapur zum Ladenhüter werden. Unternehmen sollten sich erst recht nicht darauf vertrauen, dass Topseller-Vermarktung in Europa ebenso in asiatischen Märkten überzeugt.

Es geht nicht nur um die Funktionen des Onlineshops, sondern auch um die Integration anderer Softwarelösungen. Ein plastisches Beispiel: die unterschiedlichen Zahlungsmethoden in den Ländern. Wer hier die falsche Lösung auswählt, droht von Anfang an zu scheitern.

Ein weiterer Fallstrick ist die Sprachbarriere. Besonders hier sind die Unterschiede zwischen den einzelnen asiatischen Ländern gewaltig. Ein einfaches Beispiel: Während man in Singapur nahezu die gesamte Bevölkerung mit einem englischsprachigen Onlineshop abdecken kann, muss man in anderen Ländern den Shop in der jeweiligen Landessprache anbieten.

Weitere Erfolgsfaktoren sind die Berücksichtigung der passenden Sales-Perioden und Feiertage. So ist etwa in Indien ein Weihnachts-Sale genauso wenig sinnvoll wie ein Sommerschlussverkauf in Indonesien.

Fazit

Handelsunternehmen muss bewusst sein, dass einiges mehr dazu gehört, als die Sprache des Onlineshops anzupassen, wenn sie einen Markteintritt in Asien planen. Ein Eintritt gelingt nur dann, wenn man mit Insider-Know-how und Feingefühl das Marketing dem jeweiligen Zielmarkt anpasst, pflegt und optimiert

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Oliver Lorenz